Warum lieben Männer komplizierte Uhren und warum tragen sie immer teurere Uhren an ihren Handgelenken? Man sucht im Klischee-Dschungel nach einer Antwort.
Luxusuhr = Testosteron am Handgelenk…?
Wer braucht schon eine Uhr? Zeit ist heutzutage überall gegenwärtig. Im Computer, in der Kabine des Autos, in jedem Ofen und natürlich in unseren Handys. Viele Menschen brauchen jedoch Uhren. Der Markt für Luxusuhren boomt wie nie zuvor. Inflation, Krieg oder Rezessionsängste können ihm nichts anhaben. Dieser Markt wird von einer Reihe von Luxus- und Ultraluxusmarken dominiert, hauptsächlich aus der Schweiz, die sich weltweit wie warme Semmeln verkaufen.
Schweizer Luxusuhren wurden dieses Jahr exportiert, das ist bereits mehr als 2021. Es war ein Rekordjahr mit Exporteinnahmen von über 22 Milliarden Franken. Wer kauft diese Uhren? Vor allem Männer. Die meisten dieser Uhren sind Herrenuhren. Aber wieso? Warum lieben Männer Uhren? Die Antwort führt zum Festhalten an Klischees und alten Rollen, die wir vielleicht noch nicht loslassen.
Männer brauchen Ausrüstung.
Wunderwerke aus den besten Rädern, Schrauben und Federn sind im digitalen Zeitalter ziemlich obsolet. Aber sie sind sehr beliebt. Das liegt an der Beziehung zwischen Mensch und Technik, die zwar ein Klischee ist, das aber wahr sein könnte. Frauen studieren lieber Psychologie oder Sozialarbeit, Männer werden Ingenieure.
Viele mechanische Uhren zeigen nur die Zeit an. Unter den Herrenuhren stehen jedoch die Grande Complication Chronographen an erster Stelle. Sie können auch Mondphasen, den ewigen Kalender und Schaltjahre anzeigen. Sie sind Stoppuhr und Wecker mit mechanischem Klingelton.
Die größte Attraktion für Uhrenliebhaber ist jedoch das Tourbillon. Ein solcher “Whirlpool” ist ein Gerät, bei dem sich das Schwingungs- und Hemmungssystem um die eigene Achse dreht. Der technische Aufwand ist darauf ausgelegt, eine weniger ortsabhängige Geschwindigkeitsgenauigkeit zu erreichen. Solche Tricks lassen viele Männerherzen höher schlagen. Vor allem, wenn alles durch die Zifferblattöffnung oder das Saphirglas auf der Rückseite gut sichtbar ist.
Auch Frauen mögen Technik.
Lange Zeit begnügten sich Frauen mit Uhren, die sich als Schmuck eigneten. Heutzutage sind jedoch immer mehr Herrenuhren an Damenhandgelenken zu sehen. Fantasieversionen von Herrenmodellen täuschen Frauen nicht mehr so leicht, wenn viele Uhrenmarken sie überfallen wollen, indem sie sie mit einem Quarzscharnier ausstatten und sie dann mit ein paar Diamanten schmücken. Das hängt damit zusammen, dass Frauen heutzutage ihre eigenen Uhren kaufen oder sie nicht mehr geschenkt bekommen, ohne über die Wahl sprechen zu können.
Illegale Geschenke
Männer brauchen Status. Luxusuhren werden immer mit Marken in Verbindung gebracht, die viel Prestige versprechen. Da gibt es so etwas wie „man’s best friend“ im Omega „Seamaster“ Stahlgehäuse oder „Royal Oak“ Audemars Piguet Goldgehäuse. Wo auch immer eine solche Uhr unter der Manschette hervorschaut, wer sie sieht wird es wissen: Achtung, hier kommt der Platzhirsch.
Die Rolle der Uhr als Prestigeobjekt und Statussymbol wuchs mit dem Verlust ihrer funktionalen Bedeutung. In der Schweiz, dem Land der Uhren, verlassen immer weniger Uhren die Manufaktur, dafür aber immer teurere. In Asien, wo viel neues Geld unterwegs ist, ist der Appetit auf Luxusuhren riesig. Daher hinterließ Chinas Antikorruptionskampagne unmittelbare Auswirkungen auf die Schweizer Uhrenindustrie. Schließlich sind Luxusuhren auch bei mächtigen Männern beliebte, wenn auch manchmal illegale Geschenke.
Männliche Präsentationsfähigkeiten können hier eine wichtige Rolle spielen. Es geht um Konkurrenz, aber auch um Allianzen, Cliquen und Brüderlichkeit. Man sitzt im Hinterzimmer einer geheimen Bar oder trifft sich in einem Gentlemen’s Club, macht große und fette Deals und Verträge. Früher war es zumindest so. Der Fifa-Skandal an der WM 2014
in Brasilien hat es ans Licht gebracht: Mehrere Dutzend FIFA-Funktionäre erhielten Uhren im fünfstelligen Franken-Wert. Was früher Gefälligkeit unter Bad Boys und Kumpels war, nennt man heute Korruption.
Männer scheinen ausgesprochen empfänglich für Güter mit der Aufschrift «Swiss made» zu sein. Seltene, oft limitierte Chronographen sind wahre Sammlerstücke. Und wie in vielen anderen Märkten dürften die Preistreiber männliches Verhalten sein. Die Jagd nach Raritäten, der Wunsch zu besitzen, zu handeln, zu investieren und auch zu spekulieren, ist eine Domäne der Männer. Heute gibt es auch Frauen, die teure Uhren sammeln. In bekannten Foren sind sie jedoch noch in der Minderzahl.
Männer brauchen Abenteuer.
Sie wollen tauchen, fliegen, Rennen fahren, aber meistens müssen sie ihre Tage im Büro verbringen. Taucher- und Fliegeruhren helfen, die Abenteuerlust zu stillen. Die richtige Uhr befriedigt auch Allmachtsphantasien und sogar Macho-Attitüden: Ein Mann ist ein Jäger, ein Krieger, ein Held. Er kann nicht ruhen – er ist die Unruh selbst – wie das Federschwingsystem einer mechanischen Uhr. Die Erfindung dieses Störmechanismus ist für die Schweizer Uhr das, was Testosteron für Männer ist. Die Unruh einer Uhr tut, was die männlichen Hormone tun: Sie bringen sie zu Höchstleistungen. Viele Uhrenmodelle unterstützen diese Botschaft. Sie sind groß, kantig und muskulös.
Genau das hat der Schweizer Hersteller Breitling (Grenchen) vor einigen Jahren getan. Längst verkörpert er den Männertraum vom Fliegen und befördert die Träger seiner recht großen Chronometer zu Sportpiloten. Und das, obwohl die wenigsten Besitzer einer solchen Uhr außer im Traum in Sportflugzeugen oder gar Kampfjets durch die Lüfte rauschen.
Und dann träumten die Menschen, wie die Werbung zeigte, nicht nur von Uhren und Flugzeugen, sondern auch von schönen Frauen. In den Werbespots waren sie meistens wie das Bodenteam und bewunderten die Helden, die Kunststücke am Himmel vollführten. Junge Frauen, reduziert auf ihr Äußeres, waren den Piloten fast nie gleichgestellt. Anja Derungs vom Gleichstellungsbüro in Zürich beschuldigte vor einigen Jahren die Schweizer Fluggesellschaft, deren Kabinenbildschirme solcherlei Werbekampagnen hatten. Der neue Breitling-Chef Georges Kern hat dafür gesorgt, dass solche Orte der Vergangenheit angehören.
Kulturelle Dekorationen
Männer brauchen Frauen. Wenn sie auffällige Uhren tragen, ähnelt dies dem auffälligen natürlichen Schmuck, mit dem Männchen vieler Arten ausgestattet sind: Hörner, Zähne, Federn, Mähne. Aber menschliche Männer haben keine Hörner, um Frauen zu beeindrucken und Rivalen auszutricksen. Außerdem fehlen ihnen Zähne und Federn. Statt einer Mähne haben sie oft eine Glatze. Doch wie stellt man sich nun eine Herrenuhr als kulturelles Schmuckstück vor? Eine exklusive Uhr ist zweifelsohne ein wertvolles Signal – wie der stolze Schwanz eines Pfaus, der einer Frau die Tauglichkeit der Trägerin signalisiert.
Folgt man diesem Konzept, das in der Evolutionspsychologie als Signaltheorie bekannt ist, etwas weiter, wird deutlich, dass glänzende Uhren einst Bärenklauen an einer Kette um den Hals eines besonders kräftigen Menschen waren, ein seltener Vogel auf dem Kopf eines besonders geschickten Jägers oder die rituellen Narben eines besonders furchtlosen Kriegers. Solche Fähigkeiten und die damit verbundene Macht und das Prestige wurden einst mit glänzenden Rüstungen oder mit Orden verzierten Uniformen zur Schau gestellt. Uhren machen das heute. Vor
Jahren konnte der immer größer werdende Durchmesser von Herrenuhren, wie er bei vielen Herstellern gang und gäbe war, ein Zeichen für ein schrumpfendes Selbstverständnis sein: die zunehmende Unsicherheit der Männer durch die Gleichberechtigung der Frau. „Scheibenputzen ist Männerarbeit. Bis
42 mm Durchmesser“ war der IWC-Werbeslogan. Auch hinter den Uhren der Manufaktur aus Schaffhausen steckte viel Sexismus.
Gleichzeitig werden die Uhren wieder kleiner. Und es gibt nicht wenige Männer, die nichts an ihren Handgelenken haben wollen. Andere verwenden nur eine einfache Uhr aus Kunststoff. Und viele auch Minicomputer in Form einer Smartwatch. Sie können das auch männlich finden. Zudem verschwimmen Geschlechterunterschiede in der Welt der Luxusuhren zunehmend. Der Schweizer Uhrenhersteller Audemars Piguet hat kürzlich die Unterscheidung zwischen Herren- und Damenuhren aufgegeben.
Allerdings sind Unisex
Rolex-Uhren besonders beliebt bei Frauen. Nicht zuletzt deshalb ist die Genfer Marke mit einer Jahresproduktion von rund einer Million Uhren der weltweit größte Hersteller mechanischer Uhren. Die Nachfrage ist so groß, dass es fast unmöglich ist, das gewünschte Modell im Laden zu kaufen. Und die Zahlen auf den Wartelisten steigen ohne Ende.
Außerdem wurde die erste wasserdichte Armbanduhr – Rolex „Oyster“ – von einer Frau der Öffentlichkeit vorgestellt: Die britische Schwimmerin Mercedes Gleitze trug ein solches Modell 1927 bei ihrem ersten offiziellen Versuch, den kalten Ärmelkanal zu durchschwimmen. Nichts in der Uhrenwelt geht ohne Frauen.
15.12.2022